Veranstaltung: | Landesparteitag Schleswig-Holstein 25./26. März 2023 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 5. Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Gesundheit (dort beschlossen am: 22.02.2023) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 03.04.2023, 23:22 |
Antragshistorie: | Version 1 |
G1NEU: Qualität, Erreichbarkeit und Menschlichkeit in der Medizin und Pflege erhalten und ausbauen
Antragstext
Mit erheblich zunehmender Besorgnis blicken wir auf die Entwicklung im
stationären und ambulanten Gesundheitswesen in Schleswig-Holstein. Die
angemeldeten Insolvenzen der Diako Flensburg und der Imland-Kliniken in
Rendsburg und Eckernförde sowie die drohende Schließung des Marienkrankenhauses
in Lübeck sind die letzten Ereignisse in einem Drama, das schon seit Jahren
seinen Lauf nimmt. Unterfinanzierung der Krankenhäuser im DRG-basierten
Vergütungssystem, Investitionsstau in 3-stelliger Millionenhöhe von Seiten des
Landes, fehlende Berücksichtigung der Qualität bei der Krankenhausplanung und
Fachkräftemangel. Dieser hat auch schon vor der Corona-Pandemie eingesetzt.
Aufgrund von fortschreitenden Kürzungen in allen an der Patientenversorgung
beteiligten Personalgruppen und der damit einhergehenden stark gestiegenen
Arbeitsbelastung nun aber eine extreme Eigendynamik entwickelt. Nichts davon
kommt plötzlich und unerwartet, aber der Umgang mit den Folgen ist jetzt die
große Herausforderung.
x
Neu 1. Wir begrüssen dass die Bundesregierung eine Krankenhausreform auf den Weg
bringt. Dieser Schritt ist überfällig. Wir erwarten dazu vom Bund einen Dialog
und einen Entscheidungsprozess auf Augenhöhe mit den Ländern, genauso wie mit
allen anderen Akteur*innen in dem Politikfeld. Auch der ambulante Bereich darf
dabei nicht aus dem Blick genommen werden. Weder Bund noch Länder dürfen sich
hier aus der Gesamtverantwortung ziehen. Wir sehen mit Sorge, dass die
notwändige Neuordnung der Krankenhausfinanzierung an gegenseitigen Blockaden
zwischen Bund und Ländern scheitern könnte. Das darf nicht geschehen. Unsere
Vertretungen in LAnd und Bund fordern wir auf, sich konstruktiv in den Prozess
einzubringen.
Ein willkürlicher und ungeordneter Abbau unserer medizinischen
Versorgungslandschaft ausschließlich aus monetären Gründen muss verhindert
werden. Wir fordern daher folgende weitere Massnahmen kurz- und mittelfristig
umzusetzen.
2. Einrichtung eines zuarbeitenden Expert:innen-Rates „Gesundheit Schleswig-
Holstein“, der noch in diesem Jahr eine gründliche Bestandsaufnahme der
stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung unter Beteiligung von
Patientenvertreter*innen vornimmt, um vor die Welle zu kommen und einen
Veränderungsprozess nicht nur zu begleiten. Für den stationären Bereich sind bis
zum Sommer unverzichtbare Bedarfe zu identifizieren. Dieser berät in enger
Abstimmung die bestehende Projektgruppe Krankenhausstrukturreform am
Gesundheitsministerium und die Landesregierung.
3.
Das Land Schleswig-Holstein soll bei den Vorhaltekosten unverzichtbarer Bedarfe
im Bund darauf hinwirken in Vorleistung zu gehen, bis ein neues Gesetz zur
Krankenhausstrukturreform und Krankenhausfinanzierung greift. Dies gilt
insbesondere für die Notfallversorgung in Krankenhäusern. Auf die Bereiche
Geburtshilfe und Pädiatrie ist hierbei ein besonderes Augenmerk zu legen.
4. Auch die Investitionskosten müssen noch zügiger als bislang vorgesehen
gesteigert werden, um den Sanierungsstau schneller zu beenden und um die
Krankenhausstrukturen in Schleswig-Holstein auf kommende Herausforderungen
vorzubereiten.
5. Eine intensive Kampagne zur Intensivierung von Ausbildungen in den
medizinischen Berufen, auch durch Schaffung von mehr Ausbildungs-/Studienplätzen
in Schleswig-Holstein natürlich unter Wahrung der notwendigen Qualität. Die
Pflegeschulen müssen angesichts der Herausforderungen der neuen Pflegeausbildung
unterstützt werden.
6 Die Vorstellung des Bundesgesundheitsministeriums, dass eine wie bisher
dargestellte Krankenhausreform ohne zusätzliche Mittel im System funktioniert,
können wir nicht unterstützen. Wir bitten daher die Bundestagsfraktion sich für
einen Krankenhausstrukturfond für die nötigen Investitionen auf Bundesebene
einzusetzen.
Begründung
Seit der Einführung der Fallpauschalen-basierten Vergütung der stationären Krankenhausleistung (DRG) kommen Kliniken zunehmend in finanzielle Schieflagen, auch sind Fehlanreize bis hin zu unter Umständen nicht notwendigen operativen Leistungen geschaffen worden. Konsequenz war ein jahrelanger Abbau von Personal, besonders im Bereich der Pflege, da nur hier eine wirksame finanzielle Stellschraube zur Abwendung von Verlusten gesehen wurde. Nur irgendwann kann nicht mehr weiter reduziert werden. Mittlerweile unzumutbare Arbeitsbedingungen, eine nicht aufgabengerechte Vergütung und vor allem zahllose Überstunden, welche in das Privatleben hineinwirken, weil Lücken im Dienstplan immer wieder von Kolleg:innen geschlossen werden müssen, haben zu einer massiven Reduzierung der Arbeitszeiten oder gar der völliger Berufsaufgabe bei den Pflegefachkräften geführt. Seit 2021 gibt es nun zwar das ausgelagerte Pflegebudget, die Kliniken finden nun aber keine neuen Mitarbeitenden mehr. Ähnlich sieht es im ärztlichen Bereich aus, mit den kommenden Ruheständen der „Baby-Boomer“ Generation wird sich dieses Problem noch erheblich weiter verschärfen. Nicht zu vergessen ist auch der Rettungsdienst, in dem das Problem gleichermaßen bestehen. Es ist daher zwingend, jetzt mit einer massiven Ausbildungskampagne zu starten, um dieses Problem wenigstens ansatzweise beherrschen zu können. Fort- und Weiterbildung können nicht mehr nur Aufgabe einiger Kliniken und Praxen sein, die dies schon leisten, alle müssen sich zumindest durch finanziellen Ausgleich daran beteiligen.
Die stationäre Krankenhausversorgung darf nicht zufällig erfolgen und sich nicht nur an wirtschaftlichen Bedingungen orientieren. Vielmehr handelt es sich um eine existenzielle Aufgabe der Daseinsvorsorge, der das Land verpflichtet ist. Die Veräußerung relevanter Versorgungsstrukturen im ambulanten und stationären Bereich als Renditeobjekte muss zurückgeführt werden. Bund und Land haben dieses Jahr schon positive Entlastungspakete für Kliniken auf den Weg gebracht. Der Referentenentwurf aus 12/22 aus dem Bundesgesundheitsministerium weist zwar in die richtige Richtung, hat aber durchaus auch einige zu kritisierende Aspekte, die hier aber nicht Thema sein sollen. Klar ist allerdings, dass alle diese Maßnahmen erst in ca. 5 Jahren (und das ist optimistisch gedacht) Auswirkungen haben werden. Bis dahin kann es zu weiteren Insolvenzen von Kliniken kommen, die aber für die flächendeckende, qualitativ hochwertige und auch erreichbare Versorgung gebraucht werden. Daher ist die zeitnahe Vorleistung des Landes bei den belegbaren Vorhaltekosten der Kliniken unabdingbar. Diese können regelhaft nicht aus den DRG-basierten Einkünften finanziert werden. Dies würde ein ungeplantes Verschwinden von Behandlungsstrukturen in SH, eine „kalte Strukturreform“, verhindern.
Eine qualitativ hochwertige sektorenverbindende Versorgung der Bevölkerung ist anzustreben. Dazu braucht es aber auch ein leistungsfähiges ambulantes System. Die Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung sind dringend ausbaubedürftig. Teure Doppelstrukturen könnten bei einer koordinierten Planung vermieden werden, um diese Ressourcen anderweitig sinnvoll zu verwenden. Ebenso würden dadurch blanke Flecken auf der Versorgungslandkarte gefüllt werden können (Allokation und qualitative Spezialisierung vorhandener Strukturen). Daher sehen wir auch im ambulanten Bereich die Notwendigkeit eines koordinierteren Vorgehens.
Es ist positiv zu bewerten, dass das Land seiner Verpflichtung zu Investitionen in die Kliniken jetzt schneller nachkommen will, aber das Tempo ist immer noch zu langsam. Die Kliniken sind auf die Investitionsfinanzierung seitens des Landes und der Kommunen angewiesen und können nicht weiter in Vorleistung treten, da es keine Überschüsse mehr gibt. Die baulichen Strukturen sind mancherorts extrem sanierungsbedürftig, dies auch als Ausdruck des jahrelangen zu niedrigen Investitionsbudgets seitens des Landes. Daher fordern wir das Land auf, auch hier noch mehr Tempo zu machen.
Unterstützer*innen
- Marlene Langholz-Kaiser (KV Flensburg)
- Annabell Louisa Pescher (KV Flensburg)
- Wiebke Garling-Witt (KV Stormarn)
- Carina Hennecke (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Ralf Otzen (KV Nordfriesland)
- Maren Utesch (KV Kiel)
- Ralph Sieber (KV Schleswig-Flensburg)
- Sonja Vogt (KV Pinneberg)
- Sotiria Luedtke (KV Lübeck)
- Jan Kürschner (KV Kiel)
- Hildegard Bedarff (KV Pinneberg)
- Benita von Brackel-Schmidt (KV Flensburg)
- Daniel Stephen Kolmorgen (KV Kiel)
- Georg Wilkens (KV Rendsburg-Eckernförde)
Kommentare