Veranstaltung: | Landesparteitag Schleswig-Holstein 25./26. März 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 5. Anträge |
Antragsteller*in: | Christian Osbar (KV Kiel) |
Status: | Überweisung |
Eingereicht: | 24.02.2023, 09:21 |
V6: Qualität im Ganztagsangebot verändert auch Schule …
Titel
Antragstext
Mit der Entwicklung einer Rahmenkonzeption für den Ganztag in Schleswig-Holstein
werden Weichen gestellt für die Mindeststandards für Schulkindbetreuung in den
Kommunen und kreisfreien Städten. Wir wollen für unsere Kinder mehr als
Betreuungseinrichtungen mit Mittagsverpflegung und Hausaufgabenzeit. Wir wollen
flächendeckend im Land pädagogische Lern- und Lebensräume schaffen und dies in
enger Zusammenarbeit mit Schule. Lern- und Lebensräume, in denen pädagogische
Fachkräfte Kindern selbstbestimmtes Lernen ermöglichen und Chancengleichheit
sowie inklusives Lernen selbstverständliche Ziele der pädagogischen Arbeit sind.
Lern- und Lebensräume, die auch Lehrkräften einen anderen Blick auf Kinder
ermöglichen. Gemeinsam mit Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften im Ganztag
sowie Schulsozialarbeit Ganztag in der Schule zu entwickeln, in den kreisfreien
Städten genauso wie in den ländlichen Kommunen steht für uns im Vordergrund.
Dabei ist unsere zentrale Forderung, dass in einer gesetzlich verankerten
landesweiten Rahmenkonzeption zum Ganztag die Umsetzung der Bildungsleitlinien
des Landes SH als Qualitätsmerkmal aufgenommen werden und dass eine Evaluation
und Überarbeitung der Rahmenkonzeption gesetzlich festgeschrieben wird.
- Der außerschulische Bildungsbegriff der Bildungsleitlinien[1] bereichert
das schulische Lernen um selbstbestimmte Lernprozesse. Wenn Schule zum
Lern- und Lebensort werden soll, brauchen wir das Erlernen von
Kulturtechniken im Unterricht sowie Selbstbildungsprozesse außerhalb des
Unterrichts, beispielsweise in Freispielphasen, Arbeitsgemeinschaften am
Nachmittag sowie in Ferienprojekten. Die Bildungsleitlinien bieten den
Mitarbeitenden sowie außerschulischen Partnern im Ganztag Orientierung für
die pädagogische Arbeit. Beispielsweise werden in den Bildungsleitlinien
Anforderungen an sprachliche Bildung beschrieben. Inklusionsorientierung
sowie die Berücksichtigung der individuellen Lebenslagen der Kinder sind
ebenso in den Bildungsleitlinien festgeschrieben. So ergänzen und
bereichern Ganztagsangebote das schulische Lernen.
- Eine Fortbildungsoffensive zur Umsetzung der Bildungsleitlinien in
Zusammenarbeit mit den Schulträgern soll die konzeptionelle Umsetzung der
Bildungsleitlinien in den Ganztagseinrichtungen begleiten.
- Darüber hinaus erwarten wir, dass gesetzlich festgeschrieben wird, dass
die Rahmenkonzeption für den Ganztag nach dem Vorbild der Regelung zur
Evaluation des Kindertagesförderungsgesetzes § 58 (KiTaG) in der Umsetzung
begleitet und evaluiert wird. Eine Überarbeitung der Rahmenkonzeption im
Austausch mit den Schulträgern, Landeselternvertretung sowie
außerschulischen Bildungsträgern der Jugendhilfe schließt an die
Evaluation an.
- Für den räumlichen Ausbau und die Weiterentwicklung des Ganztags auch im
Hinblick auf Inklusionsfragen brauchen die Kommunen und kreisfreien Städte
die Unterstützung des Landes bzw. Bundes, um eine Umsetzung der
Bildungsleitlinien im pädagogischen Alltag zu ermöglichen.
Angebotsqualität sowie Bildungsgerechtigkeit und Inklusion darf nicht
allein vom Schulträger abhängen.
- Alle Kinder mit erhöhtem Unterstützungsbedarf müssen verlässlich und
niedrigschwellig durch Eingliederungshilfe an den Angeboten des Ganztags
teilnehmen können. Gemeinsam mit Kreisen und kreisfreien Städten müssen
wir Strukturen aufbauen, um Unterstützungsangebote wie Sprachförderung und
Assistenz gebündelt immer mit dem Blick auf den Einzelfall anzubieten.
- Wir fordern eine Rahmengesetzgebung, die die Elternbeiträge der Betreuung
und Angebote im Ganztag bei Geschwistern und geringen Einkommen möglichst
bürokratiearm analog zum KiTaG regelt.
Begründung
Das Leibniz-Institut für Bildungsforschung[1] (DIPF) hat die Bedingungen für eine erfolgreiche Angebotsgestaltung im Ganztag beschrieben. Betreuungsqualität braucht Orientierung. Ganztag soll und kann mehr sein als pädagogisch begleitetes Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung. Ganztag kann Kindern (und Jugendlichen) selbstbestimmte Bildungsmöglichkeiten vorhalten und damit zur Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit beitragen. Der ganzheitliche, ressourcenorientierte Blick auf Kinder und Jugendliche kann auch für Lehrkräfte im Unterrichtsalltag hilfreich sein. Dies ist beispielhaft in einigen Ganztagsschulen und Betreuten Grundschulen in SH schon jetzt umgesetzt.
In den Koalitionsvereinbarungen der Landesregierung letzten Sommer wurde die Entwicklung einer Rahmenkonzeption vereinbart, ohne näher auszuführen, ob die Angebotsqualität beschrieben werden soll und wie diese gesetzlich verankert werden soll.
Die Bildungsleitlinien des Landes Schleswig-Holstein gelten nicht nur für Kindertageseinrichtungen sondern auch für Horteinrichtungen, nicht aber für Betreuungseinrichtungen für Schulkinder. Eine Ausrichtung der pädagogischen Arbeit im Ganztag an dem außerschulischen Bildungsbegriff in den Bildungsleitlinien bedeutet einen Qualitätsstandard für die pädagogische Arbeit und ermöglicht Perspektivenvielfalt in multiprofessionellen Teams im Lern- und Lebensort Schule.
Da der Ausbau der Ganztagsbetreuung sowie der Rahmenbedingungen in den Kreisen und kreisfreien Städten unterschiedlich weit fortgeschritten ist, braucht die Umsetzung der Rahmenkonzeption Evaluation und Steuerung. Eine Überarbeitung der Rahmenkonzeption nach Auswertung der Erfahrungen trägt zur Qualitätsentwicklung und -sicherung bei.
Unterstützer*innen
- Nadine Mai (KV Pinneberg)
- Katharina Diekmann (KV Pinneberg)
- Susanne Hilbrecht (KV Dithmarschen)
- Jasmin Moreau (KV Herzogtum Lauenburg)
- Malte Harlapp (LV Grüne Jugend Schleswig-Holstein)
- Doris Knabbe (KV Pinneberg)
- Denise Loop (KV Dithmarschen)
- Fabian Osbahr (KV Segeberg)
- Florian Heinrich (KV Pinneberg)
- Mathias Schmitz (KV Pinneberg)
- Katrin Engeln (KV Ostholstein)
- Lukas Strathmann (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Anouk Corinth-Koltermann (KV Nordfriesland)
- Annabell Louisa Pescher (KV Flensburg)
- Hans-Peter Hopp (KV Ostholstein)
- Wiebke Garling-Witt (KV Stormarn)
- Gerd Weichelt (KV Dithmarschen)
- Iris von Kluge (KV Herzogtum Lauenburg)
- Lukas Unger (KV Pinneberg)
- Andreas Schulze (KV Lübeck)
- Zoe Engel (KV Lübeck)
- Andrea Eva Dreffein-Hahn (KV Pinneberg)
- Torge Klein (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Anette Reinders (KV Segeberg)
- Markus Winkler (KV Schleswig-Flensburg)
- Dieter Dluzewski (KV Dithmarschen)
- Mandy Siegenbrink (KV Lübeck)
Kommentare
Mathias Schmitz:
Wenn Schulen vom Lernort zum Lebensort werden - und das ist die Konsequenz von ganztägigem Lernen - muss man sich diesen Lebensort auf seine Eignung ansehen. Flurschulen der 70er mit mieser Akustik, keiner Aufenthaltsqualität sind kein Lebensort, sondern Fluchtort, den man mittags möglichst schnell verlassen will.
Kurz: Wer ganztägiges Lernen will, muss sich in Konsequent auch für eine Modernisierung der Schulen einsetzen. Der Modernisierungsbedarf der zerbröselnden Bildungslandschaft dürfte jenseits von 5 Mrd. Euro in Summe liegen. Zu denken, dass das die Kommunen schon alleine schaffen könnten ist naiv.
Wir müssen uns also über eine Mitverantwortung des Landes jenseits der Konnexität Gedanken machen und Lösungen finden. Erst wenn wir dieses tun, machen wir uns zum richtigen Ziel des ganztägigen Lernens ehrlich.
Christian Osbar:
Danke für die grundsätzliche Unterstützung. Ziel des Antrags ist, pädagogische Fachkräfte, die nicht den Fachanforderungen und Schulerlassen gebunden sind. für den konzeptionellen Prozess zu stärken. Multiprofessionelles Arbeiten braucht unterschiedliche Perspektiven.
Und die Schulträger brauchen Orientierung, wie ein Ganztagsangebot aussehen sollte, damit dann Vorort und im Gespräch mit Land/Bund überall in SH ähnlich anspruchsvolle Angebote auch im Hinblick auf Raum und Ressourcen angeboten werden können.
So gesehen stimme ich Dir zu, dass Schule offensichtlich Entwicklungspotential hat und wir gute Ideen für die Gestaltung von Schule auch über Ganztagsangebote in die Schulgemeinschaft hineintragen müssen.
LG Christian (Sprecher der LAG Kinder, Jugend und Famiilie)
Iris von Kluge:
Anette Reinders:
ich unterstütze den Antrag auch, denke aber auch, dass er zu kurz greift. Aus meiner Sicht geht es dabei nicht nur um Räume sondern um ein modernes ganzheitliches Schulkonzept. Was ist eigentlich unsere Vision bei dieser Thematik? Erst Unterricht und dann Nachmittagsbetreuung? Oder ein Ort für Kinder, an dem sich wohlfühlen können, wo sie Dinge lernen und ausprobieren können, wo sie Freund:innen treffen, Spaß haben und spielen können. Aber auch ein Ort, wo sie Unterstützung bekommen, vielleicht auch mal Trost und Rückhalt.
Merine Vision wäre es, dass Schule sich neu erfindet und im stärkeren Maße den Ganztag inhaltlich mitgestaltet (und nicht nur als Betreuung wahrnimmt). Dazu gehört, dass außerschulische Bildung einen viel höheren Stellenwert erhalten muss. Die Schule der Zukunft ist für mich ganztags - mit einem multiprofessionellen Team und einem Schulkonzept aus einem Guß, und das nicht nur in der Theorie sondern auch in der täglichen Praxis. Aber so lange das Kollegium für den Ganztag mal gerade 2 Wochenstunden bekommt, wird es weiter von dem persönlichen Engagement Einzelner abhängen, ob ein guter Ganztag auch am Nachmittag gelebt werden kann. Dabei könnte auch auf lange Sicht auch der Vormittag von einem ganzheitlichen Konzept profitieren. Warum nicht die Mitarbeiter:innen aus dem Ganztags vormittags als Zweitkraft im Unterricht einsetzen? Klar, das kostet. Aber die vielen Schulbegleitungen und -assistenzen sind auch nicht umsonst. Und es würde dazu führen, dass man überhaupt Fachkräfte für den Ganztag findet.
Wenn es interessiert: die Stadt Norderstedt hat sich 2011 auf den Weg gemacht, innerhalb von 10 Jahren alle 12 Grundschulen in Ganztagsschulen in Ganztagsschulen umzuwandeln. Und tatsächlich wird in diesem Jahr der Prozess abgeschlossen sein (allerdings noch nicht alle Baumaßnahmen).
Dafür gibt es sogar eine eigene Gesellschaft: Bildung - Erziehung - Betreuung (BEB) in Norderstedt gGmbH. www.beb-norderstedt.de